Das heutige Spitzengespräch mit Handel und Lebensmittelindustrie im Bundeskanzleramt blieb bis auf die Ankündigung, dass bis Ende 2020 die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelkette in Deutschland umgesetzt werden solle, erwartungsgemäß praktisch ohne konkretes Ergebnis.
LEH-Gipfel: Tatsächliche Ursachen der niedrigen Erzeugerpreise werden ausgeblendet
„Mit Appellen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken wird man die eklatanten Missstände im Lebensmittelbereich nicht beseitigen können“, kritisiert BDM-Vorstand Elmar Hannen. „Rabattschlachten, Dauer-Niedrigstpreise von Lebensmittel, die Vernichtung von Lebensmitteln im Müll, das einseitige Diktat immer neuer Produktionsstandards durch den Handel und die Auslistung von Erzeugern, die sich an alle gesetzlichen Standards halten und weitere unlautere Handelspraktiken – das alles sind Folgen einer Marktkonstellation, die dieses Verhalten erst ermöglicht.“
Die strukturelle Schieflage insbesondere im Milchmarkt ist seit langem bekannt. Die Sektoruntersuchung Milch des Bundeskartellamts, die schon 2012 ein eklatantes Marktungleichgewicht zu Ungunsten der Milcherzeuger festgestellt hat, blieb dennoch seit acht Jahren praktisch unberücksichtigt.
„Nicht der Markt hat versagt, sondern die Politik, die daraus keine Handlungsnotwendigkeit abgeleitet hat“, so Elmar Hannen weiter.
„Wir stimmen mit Bundeskanzlerin Merkel darin überein, dass in die Überlegungen auch die Verarbeitungsstufe mit einbezogen werden muss. Die Verarbeitungsunternehmen legen bei Kontraktausschreibungen des Handels mit ihrem gegenseitigen Unterbieten den Grundstein für das Verramschen von Lebensmitteln. Der Handel profitiert von diesem Unterbietungswettbewerb und gibt die erzielten Preisabschläge an die Kunden weiter. Die Zeche zahlen dann insbesondere im Milch- und Fleischbereich die Landwirte“, erklärt BDM-Vorsitzender Stefan Mann.
„Eine ganz wesentliche Ursache, die dieses Verhalten von Handel und Verarbeitung aber erst ermöglicht, ist eine Marktsituation, die geprägt ist von Dauersättigung bis hin zu einem Überangebot, also einem Käufermarkt“, betont Stefan Mann. „Diese Situation und die Tatsache, dass die Landwirte im nachgelagerten Bereich einer hoch konzentrierten Handels- und Verarbeitungsindustrie gegenüberstehen, führen zur schlechten Marktstellung der Landwirte und dazu, dass die Landwirte einem Preisdiktat unterliegen, das es nicht ermöglicht, steigende Kosten weiter zu berechnen.“
„Die Bundesregierung muss den Mut haben, diese Problematik anzugehen“, fordert Stefan Mann. „Mit einem Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken und Appellen für Fairness lässt sich nicht ausbremsen, was bei den Marktrahmenbedingungen falsch läuft. Vergessen werden darf auch nicht, dass unsere Lebensmittelmärkte längst globale Märkte sind. Ein erheblicher Anteil unserer Agrarprodukte wird mit erheblichem Preisdruck exportiert. Das wirkt sich entsprechend auch auf die nationalen Märkte aus.“
Mit ordnungsrechtlichen Eingriffen kann aus Sicht des BDM nicht geheilt werden, was bei der politischen Gestaltung der Marktrahmenbedingungen versäumt wird.
„Wer Niedrigpreise „unanständig“ findet, muss konsequenterweise die aktuelle Agrarmarktpolitik, die darauf ausgerichtet ist, die Ernährungsindustrie mit niedrigsten Rohstoffpreisen weltweit wettbewerbsfähig zu machen, ändern“, fordert Stefan Mann. „Der Versuch, mit einem Gesetz das zwar unerträgliche, aber marktgerechte Verhalten des Handels abzumildern, reicht nicht ansatzweise aus. Vielmehr sollten alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, die Erzeuger in ihrer Marktstellung zu stärken.“
Im Milchbereich muss mit der Installierung eines effizienten Marktkriseninstruments auf EU-Ebene, Krisen effektiv und vor allem frühzeitig entgegengewirkt werden. Um eigenverantwortlich für einen ausgeglichenen Milchmarkt sorgen zu können, muss auf europäischer Ebene die Milchviehhaltung als eigene Branche anerkannt werden. Dies ist der wichtigste Schritt dahin, dass die Milchviehhalter auf Augenhöhe am Wettbewerb teilnehmen können und das Marktrisiko gerechter entlang der Wertschöpfungskette verteilt wird. Weitere wichtige Schritte sind die Einführung verbindlicher Verträge sowie eine grundlegende Neuaufstellung der Marktbeziehungen zwischen Erzeugern und Verarbeitern. Dies gilt nicht nur für den Milchbereich, sondern auch für alle anderen Sektoren.