(Berlin) Nach einem Jahr intensiver Debatten lud der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter e.V. (BDM) am 18. Januar 2025 erneut zu seinem traditionellen Symposium im Rahmen der Grünen Woche ein. Unter dem Titel „Nachhaltige Entwicklung unserer Betriebe – wer bestimmt, wo’s langgeht?“ diskutierten hochkarätige Gäste aus Wissenschaft, Molkereiwirtschaft und Praxis zentrale Herausforderungen der Milchproduktion.
BDM-Symposium 2025: Nachhaltige Milchproduktion – Wer bestimmt, wo´s lang geht?
Nachhaltigkeit – nicht nur ein Schlagwort
Im Mittelpunkt des Symposiums stand die Frage, wie eine nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Milchproduktion in Zeiten globaler Herausforderungen realisiert werden kann. In seiner Eröffnungsrede betonte Bernhard Heger, Vorstandsmitglied des BDM: „Milchviehhalter können alles leisten, was die Gesellschaft fordert – sei es eine hochwertige, gesunde, regionale oder nachhaltige Milchproduktion mit Fokus auf Tierwohl. Aber dafür brauchen sie klare politische Rahmenbedingungen und eine faire Marktstellung.“
Panel 1: Nachhaltigkeit – Worthülse oder Verkaufsschlager?
Souverän moderiert von Matthias Schulze Steinmann, Chefredakteur von „top agrar“, beleuchtete das erste Panel, wie Nachhaltigkeit in der Milchproduktion konkret gestaltet werden und vor allem bezahlt werden kann.
Prof. Dr. Harald Grethe, Professor für Internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität Berlin und Co-Direktor des Thinktanks Agora Agrar, stellte klar, dass Nachhaltigkeit definitiv mehr als eine Worthülse ist: „Nachhaltigkeit ist keine beliebige Größe. Die ökologische Definition ist hier immer enthalten. Kriterien wie Klimaneutralität, Wasserqualität und Tierwohl werden in diesem Zusammenhang gesellschaftlich eingefordert.“Gleichzeitig wies er aber auch darauf hin, dass Nachhaltigkeit leider kein Verkaufsschlager sei. Laut Marktforschung seien nur etwa 20 Prozent der Konsumenten mit Nachhaltigkeit zu erreichen. Die privaten Märkte schafften es nicht, die von den Landwirten erbrachten Leistungen zu honorieren. Es handle sich hier um ein Marktversagen. Auch über Ordnungsrecht sei Nachhaltigkeit nicht einzulösen. Mit offenen Grenzen und einer globalisierten Wirtschaft sei dies nicht erreichbar. Grethes Forderung: Die Agrarpolitik muss absichern, dass mit Leistungen ein Einkommen erwirtschaftet werden kann. Das Ziel müsse eine nachhaltige Landwirtschaft sein, von der die Menschen leben können. Einer Preisgestaltung durch staatliche Intervention erteilte Prof. Dr. Grethe dabei eine Absage und plädierte stattdessen für einen Emissionshandel bzw. CO2-Steuern. In der CO2-Wirtschaft eingenommenes Geld müsse dabei an die Landwirtschaft zurückgegeben werden.
Kasper Thormod Nielsen, Direktor Landwirtschaft und Mitglieder Deutschland und Benelux bei Arla Foods, betonte, dass Nachhaltigkeit für seine Molkerei keine Worthülse, sondern Realität sei. Als Genossenschaft ginge Arla dabei proaktiv vor, denn man wolle nicht warten, bis die Politik oder der Handel es regle. Nielsen berichtete, wie die Genossenschaft bei ihren Mitglieder Klimaanreize schaffe: Das Programm „Klimacheck“, mit dem 2010 ein Standard für die Berechnung des Klimafußabdrucks auf den Höfen etabliert worden sei, belohne Landwirte, die ihren Klimafußabdruck verbessern, mit einem Zuschlag von 1 ct/kg Milch. „Nachhaltigkeit muss aktiv gestaltet und fair entlohnt werden“, erklärte Nielsen. Das Geld würde innerhalb der Molkerei umverteilt auf Landwirte, die mehr fürs Klima machen. In der Vermarktung würden 4 Milliarden Kilo Milch (von 14 Milliarden Kilo) aus dem Klimaprogramm an die Kunden verkauft, die die Daten der teilnehmenden Höfe transparent einsehen könnten. Nielsens Fazit lautete, dass Geld und Anreize für Landwirte seitens der Genossenschaft für mehr Nachhaltigkeit nötig seien.
Florian Schwinn, Journalist und Autor u.a. von „Die Klima-Kuh. Von der Umweltsünderin zur Weltenretterin“, zeigte in seinem Vortrag zunächst Beispiele, wo überall Methan produziert werde und meinte auch mit Verweis auf den Weltklimarat, dass das Methan aus Kühen überbewertet würde. Das weltweite Narrativ sei hingegen, dass die Kühe die hauptsächliche Ursache seien.
Das zog Schwinn in Zweifel: Bei der Frage der Herkunft der Treibhausgase seien vor allem Methan-Lecks beim Fracking, Diesel, Schweröl (auch beim Transport von Futtermitteln), Kunstdünger und viele Emissionen, für die Europa mit dem Import von Futtermitteln außerhalb Europas verantwortlich sei, zu betrachten. Schwinn plädierte für eine differenzierte Betrachtung der Klimawirkung von Kühen: „Weiderinder, die pro Liter Milch ein Viertel dessen emittiert, was eine Stallkuh produziert, leisten einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität und stehen zu Unrecht als Klimasünder am Pranger.“
Kurt Kootz, BDM-Milchviehhalter aus der Eifel in Rheinland-Pfalz mit 92 Kühen, widersprach seinen Vorrednern Prof. Dr. Grethe und Kasper Thormod Nielsen, die beide von einem Marktversagen bei der Entlohnung von Nachhaltigkeitskriterien über den Markt gesprochen hatten. Er betonte: „Wir haben kein Marktversagen, sondern ein Vermarktungsversagen“. Statt den Kunden Daten über die Betriebe zur Verfügung zu stellen, sei es wichtiger, dass eine realistische Rechnung gestellt werde, damit das bezahlt wird, was geleistet wurde. Kootz kritisierte, dass Landwirte nach wie vor keinen Einfluss auf die Preisgestaltung haben: „Die Produktionskosten sollten den Milchpreis bestimmen – nicht umgekehrt.“ Er forderte feste Vertragsbedingungen zwischen Molkereien und Erzeugern, um Planungssicherheit zu gewährleisten. Es sei richtig, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln, aber die Vertragsgestaltung liefere dafür die Grundlage. Über Verträge könnten auch Nachhaltigkeitskriterien eingepreist werden. Als Landwirt verstehe er unter Nachhaltigkeit auch, dass Betriebe so bewirtschaftet werden, dass sie an die nächste Generation weitergegeben werden können. Dafür sei die wirtschaftliche Grundlage wichtig.
Lebhafte Diskussion
Die anschließende Diskussion wurde teilweise sehr lebhaft geführt und reichte von der Frage, inwiefern das Thema Nachhaltigkeit in Zeiten knapper Kassen und politischer Unsicherheiten noch in die Zeit passt, über die Frage, welche Rolle die Landwirtschaft bzw. die Kuh bei der Reduzierung von Methanemissionen spielt bzw. spielen muss bis hin zur entscheidenden Frage, welche Möglichkeiten es gibt, um einen verlässlichen Erlösrahmen für die Landwirtschaft und insbesondere die Milchviehbetriebe zu schaffen. Gerade in diesem Punkt wurden die unterschiedlichen Sichtweisen der Podiumsgäste noch einmal sehr deutlich – ebenso wie bei der Frage der Rolle der Kuh für den Klimawandel und die Sichtweise der Wissenschaft, die zunächst sehr intensiv zwischen Prof. Dr. Grethe und Florian Schwinn diskutiert wurde.
Panel 2: Zukunftskommission Landwirtschaft – als „Zukunfts- und Lösungsmodell“?
Im zweiten Panel schilderten schließlich Hagen Stark, Vorstand LsV Deutschland, Olaf Bandt, Vorsitzender BUND, Hubertus Paetow, DLG-Präsident und BDM-Vorstandssprecher Hans Foldenauer als Teilnehmer der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ (ZKL) ihre Sicht auf die zentralen Ergebnisse der Zusammenarbeit in der ZKL. (Prof. Dr. Miriam Athmann von der Universität Kassel hatte wegen Krankheit leider absagen müssen.) Sie berichteten von den Schwierigkeiten, aber auch den positiven Effekten der Zusammenarbeit in der Kommission.
Mit Blick auf die Zusammenarbeit stellte Hubertus Paetow heraus, dass in der ZKL jeder versuchte zu verstehen, was der andere wirklich will und was das mit dem zu tun hat, was man selbst will. Es habe sich gezeigt, dass die Linien zwischen den Teilnehmern fließend gewesen seien. Die ZKL sei für ihn ein zukunftsfähiges Verfahren, um der Politik konsensuale Lösungen anzubieten.
Olaf Bandt erklärte, dass man viel voneinander gelernt habe, aber auch, wie schwierig es in der Landwirtschaft ist, Ziele zu erreichen. Einig waren sich alle Teilnehmer, dass die Zusammenarbeit für das gegenseitige Verständnis und auch Unterstützung sehr förderlich war, aber daneben natürlich jeder seine inhaltlichen Schwerpunkte im eigenen Verband weiter verfolge – nun aber mit mehr Wissen um die Hintergründe der anderen. „Gegenseitiges Verständnis ist wichtig“, so Bandt. Es bedeute, nicht dem ersten Impuls nachzugeben, einfach alles zu verbieten, wie es von Naturschützern manchmal als einfachster Weg gefordert werde.
Hans Foldenauer hob hervor, dass besonders das Kapitel 4 – der Marktteil, der die gemeinsame Marktordnung in den Blick nimmt, ein sehr wichtiges Ergebnis sei, denn hier sei verfasst, welche Möglichkeiten es gebe, um wichtige Marktrahmenbedingungen zu schaffen. Festgehalten wurde in diesem Teil, dass zusätzliche staatliche Gelder als Perspektiven ein Holzweg für die Zukunft seien. Vielmehr müssten Leistungen, die für die Gesellschaft erbracht werden, einkommenswirksam honoriert werden. Außerdem sei hier auch der Einfluss der EU auf resiliente Ernährungssysteme auf globaler Ebene hervorgehoben worden.
Die Frage, wie man vom Reden zur politischen Umsetzung kommt, wurde ebenfalls diskutiert und hier zeigte sich schon, dass den Teilnehmern sehr bewusst ist, dass das kein Selbstläufer ist oder wird, sondern dass es Nachdruck braucht. Olaf Bandt und Hagen Stark hoben die Kraft von Bündnissen hervor, die etwas bewegen könnten. Paetow erklärte, wie wichtig es sei und wie groß gleichzeitig die Herausforderung für eine Demokratie sei, die Vorgänge zu einem Abschluss zu bringen und warnte aber auch, dass die Lösung nicht sei, die Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Dass das Mandat der Zukunftskommission nun beendet ist, und die Umsetzung bei der neuen Regierung liegt, stand für alle außer Frage. Eine neue Kommission könne es erst geben, wenn dies von einer neuen Regierung ausdrücklich gewollt sei und der Wert des aktuellen Berichts anerkannt werde.
Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), forderte, betriebswirtschaftliche Chancen stärker mit ökologischen Zielen zu verknüpfen. „Nur so können wir nachhaltige Systeme schaffen, die sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich tragfähig sind.“
Zusammenfassung und Ausblick
In der Zusammenfassung und im Ausblick zum Symposium hob Manfred Gilch, BDM-Vorstandsmitglied, schließlich hervor, dass es im System Landwirtschaft mehr Geld brauche, wenn Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen soll – und dass dieses in erster Linie über den Markt erwirtschaftet werden muss. Die Bauern bräuchten dafür Instrumente, um mehr Gewicht am Markt zu haben.
Das zweite Panel habe zum Ausdruck gebracht, dass eine bessere Marktstellung der Landwirtschaft auch mit den Interessen andere Gruppen verknüpft werden könne.
Verleihung des Journalistenpreises „Faire Milch“
Ein Höhepunkt des Tages war außerdem die Verleihung des Journalistenpreises „Faire Milch“. Ursula Trede, Vorstandsmitglied des BDM, ehrte herausragende journalistische Arbeiten, die sich mit den Herausforderungen der Milchviehhaltung auseinandersetzen.
Der Abend klang mit Buffet, Musik und vielen Gesprächen und geselligem Austausch unter Kollegen und Freunden aus.