Nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter BDM e.V. hat der aktuelle Schlachthof-Skandal noch einmal überdeutlich vor Augen geführt, was eigentlich so gut wie allen durchaus bekannt war: Dringender Handlungsbedarf ist gegeben, da das System des „Immer billiger, immer mehr“ mit dem damit verbundenen Kostendruck in der Produktion von Milch und Fleisch Mensch und Tier an ihre Leistungsgrenzen führt.
Für mehr Tierwohl braucht es mehr als eine Abgabe auf Fleisch und Milch
Wenn man dies ändern will, ist es jedoch notwendig, mehr als nur „die ganze Kette“ in den Blick zu nehmen, wie Bundesagrarministerin Julia Klöckner in Aussicht gestellt hat.
Nach anfänglicher Skepsis will nun auch Ministerin Klöckner den Vorschlag der Borchert-Kommission mittragen, den Umbau der Nutztierhaltung hin zu einer artgerechteren Haltung mit der Einführung einer Tierwohlabgabe in Höhe von 40 Cent pro Kilogramm verkaufter Fleischprodukte, von 2 Cent pro Kilogramm Milch und pro Ei sowie 15 Cent pro Kilogramm Käse oder Butter zu unterstützen.
„Viele tierhaltende Betriebe wirtschaften angesichts einer permanenten Kostenunterdeckung und angesichts wiederkehrender Krisen am Limit, haben in den letzten Jahren viel Substanz verloren und damit keine Reserven mehr, die nötig wären, um die notwendigen Investitionen in eine Modernisierung der Ställe vorzunehmen. Um einen schnelleren Einstieg in den Umbau der bisherigen Tierhaltungssysteme, gerade im Fleischsektor, in Gang zu bringen, kann der Weg über eine Abgabe daher durchaus ein gangbarer Weg sein“, erklärt BDM-Vorsitzender Stefan Mann.
„Wenn wir aber über den Einstieg hinausdenken und wollen, dass eine tierwohlgerechtere Landwirtschaft eine echte Perspektive hat, brauchen wir mehr als eine Abgabe. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht bei der Anschubfinanzierung tierwohlgerechterer Umbauten stehen bleibt und der nicht durch andere Weichenstellungen im Markt konterkariert wird. Die politisch beschlossene Ausrichtung der EU-Agrarpolitik auf sehr niedrige Preise für Agrarprodukte, um damit die Ernährungs- und Molkereiindustrie mit billigen Rohstoffen zu versorgen, hat uns in eine vertrackte Situation geführt und diese Situation kann auch mit einer Tierwohlabgabe nicht aufgelöst werden.“
„Mit der Tierwohlabgabe soll „ein Mehr“ in der Nutztierhaltung gefördert werden, obwohl angesichts fehlender Wertschöpfung noch nicht einmal die Ist-Situation wirtschaftlich tragfähig ist“, betont Mann weiter. „In einer derartigen Situation bleibt eine kostspielige Investition ein hohes Risiko für die Betriebe: 2 Cent/kg Milch können sich allein durch entsprechende Preissenkungen von Molkereien aufgrund bestimmter Markteinflüsse im Handstreich quasi in Luft auflösen.“
Um wirklich etwas zu verändern, braucht es nach Ansicht des BDM mehr. In erster Linie müssen Marktrahmenbedingungen geschaffen werden, die es den Landwirten ermöglichen, die Kosten für eine tier- und artgerechte Tierhaltung am Markt zu erwirtschaften. Tierwohl hängt in ganz entscheidendem Maße vom Faktor Mensch ab. Ein angemessener Arbeitskräftebesatz und ausreichend Tierbetreuungszeit verursachen dauerhaft Kosten, die nicht über Abgaben finanzierbar sind, die aber für das Tierwohl mindestens genauso wichtig sind wie Stallumbauten.
In seiner BDM-Sektorstrategie, die in ähnlicher Form auch auf andere landwirtschaftliche Bereiche übertragen werden könnte, hat der BDM erläutert, wie der Milchmarkt gestaltet werden müsste, damit ein wirtschaftlich nachhaltiges, gesellschaftsverträgliches, tiergerechtes und sozialverträgliches Wirtschaften der Milchviehbetriebe ermöglicht wird. Im Mittelpunkt steht eine Verbesserung und Stärkung der Marktstellung der Milchviehhalter gegenüber der Molkereiwirtschaft und der verarbeitenden Industrie, ein wirksames Krisenmanagement und eine Neuausrichtung der Agrarmarktpolitik – weg vom Fokus auf die Interessen der Konzerne der Ernährungsindustrie.
„Es wäre nicht tragbar, vom Verbraucher mehr Wertschöpfung abzuverlangen, während den Konzernen der Milch- und Fleischverarbeitung weiterhin jede Möglichkeit gegeben wird, sich ihre Rohstoffe möglichst billig zu beschaffen“, stellt BDM-Vorsitzender Stefan Mann klar.