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Die Liberalisierung der europäischen Milchpolitik hat mit einer lang anhaltenden Krise am Milchmarkt tiefe Spuren auch auf den Milchviehbetrieben in Schleswig-Holstein hinterlassen. Um die Konsequenzen ehrlich zu diskutieren, fehlt es vielen Wissenschaftlern, Beratern und Politikern offensichtlich an Mut. Stattdessen werden die Milchbauern weiterhin mit Durchhalteparolen und neuerdings auch mit Tipps versorgt, nun einfach alles anders zu machen, als man es ihnen zuvor jahrzehntelang empfohlen hat.
SH: Guter Rat für Milchbauern: „Mach doch einfach noch was nebenbei!“
Seit Jahrzehnten wurde und wird den Landwirten erklärt, dass nur eine Spezialisierung und Intensivierung ihrer Produktion ein Überleben ihrer Betriebe sichern würde. Diesen Empfehlungen aus Wissenschaft, Beratung und Politik hat auch die Mehrheit der Milchviehhalter vertraut und sich auf ihren stetig wachsenden Betrieben auf die Produktion von Milch spezialisiert. Von der traditionellen Bullenmast oder dem Anbau des eigenen Futtergetreides wurde den Bauern immer mehr abgeraten. „Ob dieser Weg für alle Regionen und alle Betriebe richtig war, wurde überhaupt nicht in Frage gestellt. Alljährlich wurde uns Landwirten zu Jahresbeginn dargestellt, dass nur die spezialisierten und größeren Betriebe mit den höchsten Milchleistungen der Kühe die besseren betriebswirtschaftlichen Ergebnisse erzielen und somit überlebensfähig sein werden“, erklärt Kirsten Wosnitza vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter BDM e.V. die Situation. „Man muss aber auch wissen, dass gerade diese Betriebe sehr stark investiert haben und mit hohen Milchleistungen einem System gerecht werden müssen, das höchstes Know-how und Arbeitseinsatz erfordert und überhaupt nicht fehlertolerant ist“, beschreibt Wosnitza die Problematik. „Wenn in einem solchen System etwas schief läuft und dies gleichzeitig in einer Preiskrise geschieht, dann sind die wirtschaftlichen und menschlichen Belastungsgrenzen sehr schnell erreicht. Das hat Betrieben in der Krise geradezu den Boden unter den Füßen weg gezogen.“ Auf vielen Betrieben belasten nun umfangreiche Kredite die Höfe. „Sollten wir in Kürze eine neue Krise am europäischen Milchmarkt bekommen, werden diese Kredite weiteren Betrieben zum Verhängnis werden“, beschreibt Wosnitza die traurige Realität. Um dem entgegen zu wirken, haben die Verbände der Milchviehhalter europaweit (European Milk Board EMB) bereits vor Ende der Milchquotenregelung ein neuartiges System zum Krisenmanagement vorgeschlagen. Das von der EU und der Bundesregierung umgesetzte Mengenreduktionsprogramm gehe immerhin in diese Richtung, sei aber noch nicht ausreichend, so Wosnitza.
So richtig sauer sind die Milchviehhalter aber über die neuen Ratschläge, wie sich die Familien in Zukunft vor Milchpreiskrisen schützen sollen. „Es ist kaum zu glauben“, ärgert sich Wosnitza“, man rät uns weiterhin zu wachsen und höchste Intensitäten im Stall und auf dem Feld zu fahren und gleichzeitig zu „diversifizieren“, also noch etwas nebenbei zumachen.“ Schon in der Krise hätten viele Ehefrauen Nebenjobs angenommen – zusätzlich zur ihrer Arbeit auf den Höfen. Es sei klar, dass solch eine Situation familiär und betrieblich nicht langfristig zu tragen sei.
Eines stellen die Milchviehhalter klar: Sie verschließen sich weder dem Wandel noch neuen Herausforderungen oder einer sorgfältigen Prüfung der betrieblichen Ausrichtung bei anstehenden Investitionen oder dem Generationswechsel. Allerdings weigern sie sich, unrealistische Vorschläge umzusetzen, die ihre Betriebe gerade jetzt noch weiter in Gefahr bringen könnten. „Wir sind seit Jahrzehnten vielseitig aufgestellt, machen Milchviehhaltung (Doppelnutzungsrasse), Bullenmast, Ackerbau, Kartoffelanbau und Direktvermarktung. So haben wir das Risiko breit gestreut und sind damit lange gut gefahren – obwohl oder gerade weil wir den Empfehlungen nicht gefolgt sind. Das war für uns aber nur möglich, da unser Betrieb schon immer viel Eigenland besitzt. Für andere Betriebe mit einem hohen Pachtanteil war eine solche Strategie schwierig“, erklärt Milchviehhalter Christoph Schulte-Steinberg. „Jahrzehntelang hat man über unser Betriebskonzept gelächelt – und jetzt soll es das Allheilmittel für einen nicht funktionierenden Milchmarkt sein“, kommentiert der Landwirt aus Krogaspe die neuen Ratschläge der Experten.
Milchviehhalter Jörn Sierck aus Kropp hat vor sieben Jahren seinen Milchviehbetrieb um eine Hofmolkerei und Selbstvermarktung erweitert und kann die Chancen und Risiken eines solchen Schrittes klar beschreiben: “ Unsere Söhne wollen den Betrieb weiter führen und so stand für uns ein Entwicklungsschritt an. Wir haben uns gegen die Intensivierung der Milchviehhaltung und für die Veredelung unserer Milch entschieden. Eine Investition in neue Produktionsbereiche kann ein Betrieb allerdings nur aus einer Position der finanziellen Stärke bewältigen, ansonsten ist das Risiko für den Neueinstieg viel zu hoch und kann den ganzen Betrieb gefährden. Für den Aufbau neuer Geschäftsfelder ist daher zunächst eine stabile Situation am Milchmarkt Voraussetzung. Wir haben den Einstieg nicht bereut, aber Selbstvermarktung ist und bleibt eine Nische für wenige. Für die Mehrheit der Milchviehhalter brauchen wir neue Rahmenbedingungen, damit ihre Betriebe nicht immer wieder durch Krisen am Milchmarkt an den Rand der Existenzfähigkeit gedrängt werden.“
Für die Milchviehhalter ist klar – die neuen Tipps der „Experten“ sind ein weiteres Zeichen dafür, dass man immer noch nicht bereit ist, das System von „immer billiger – immer mehr“ in der europäischen Milcherzeugung auf den Prüfstand zu stellen. „Wer gleichzeitig fordert, die Milcherzeugung auszuweiten und zu intensivieren, um die Existenz der Betriebe zu sichern und dabei noch neue Geschäftsfelder zu erschließen, der macht sich unglaubwürdig“, kritisiert Kirsten Wosnitza. „Schon jetzt sind zu viele Betriebe und Familien an ihrer Belastungsgrenze angelangt.
Derartige Vorschläge sollen nur verhindern, dass endlich eine Politik für einen Milchmarkt gemacht wird, der auch für die Bauern funktioniert und nicht nur für Industrie und Handel.“